Ein Mann hat in der Pandemie seine Frau an die Verschwörungsszene verloren.
Lange kämpfte er darum, sie zurückzuholen in seine Wirklichkeit – ohne Erfolg. Trotzdem fand das Paar einen Weg, zusammenzuhalten. Was macht der Verschwörungsglaube mit der Liebe?
Simon* sieht müde aus. Zugleich wirkt er aufgekratzt, fahrig, zerstreut. Er sitzt in einem kahlen Raum mit hohen Decken. Es zieht, die Luft ist kühl. Es ist Ende Februar 2021, die 7-Tage-Inzidenz in Hessen liegt bei 57,3, aber Simon hat einem persönlichen Treffen in den Räumlichkeiten seines Arbeitgebers trotzdem zugestimmt. Weil es ihm nicht gut geht, weil er weiß, dass er mit seinem Problem nicht alleine ist, und weil er anderen Betroffenen gerne helfen würde, wie er sagt.
Die anderen Betroffenen sind wie er kaum gesehene Opfer der Pandemie. Menschen, die in keiner Statistik auftauchen. Menschen, die enge Angehörige nicht an das Coronavirus verloren haben, sondern an ein soziales Phänomen, das man als gesellschaftlichen Kollateralschaden der Krise betrachten kann: den Glauben an Verschwörungserzählungen.
Im Fall von Simon ist es seine Frau, die ihre gemeinsame Wirklichkeit verließ und in die Welt der Verschwörungsideolog:innen eintrat. Weil er an der Beziehung festhält und sie nicht gefährden will, hat er darum gebeten, sie nicht zu befragen. Sie soll nicht erfahren, dass er mit einer Journalistin spricht. Es kann deshalb nur seine Perspektive abgebildet werden. Um die Anonymität des Paares zu wahren, ist sein Name in diesem Text geändert.
Als Simon im Februar 2021 der taz zum ersten Mal die Geschichte von sich und seiner Frau erzählt, sind sie seit sechs Jahren ein Paar. Mit Ende 20 lernten sie sich über eine Partnerbörse kennen. Heute sind sie Mitte 30 und leben in einem Einfamilienhaus in einer mittelgroßen Stadt in Hessen. Simon hat eine Tochter aus erster Ehe, im Mai 2019 bekamen seine Partnerin und er noch ein Kind. Er arbeitet im sozialen Bereich mit Jugendlichen, sie ist Erzieherin für kleinere Kinder.
Wenn Simon von seiner Frau spricht, ist da kein Groll. Immer wieder betont er, wie sehr ihm an der Beziehung zu ihr und ihrer kleinen Familie gelegen ist. Aber ein Gefühl ist ihm bei dem ersten Treffen deutlich anzumerken: Verzweiflung.
Weiterlesen im PDF oder auf taz.de
Veröffentlicht in der taz.am wochenende vom 26./27.03.2022