Während der Militärdiktatur in Argentinien blühte der Handel mit Säuglingen. Mit 22 erfährt Carina Rosavik, dass auch sie erst als kleines Kind zu ihren Eltern kam. Auf der Suche nach ihrer Herkunft verliert sie Gewissheiten – und gewinnt geliebte Menschen
Mit dem Klingeln an der Tür nimmt Carina Rosaviks Leben eine Wende. Zwei Männer stehen davor, einer fragt: „Haben Sie Zweifel an Ihrer Herkunft?“ Es ist das Jahr 1999, im September, Rosaviks Mutter ist vor zwei Wochen an einem Schlaganfall verstorben. Und ja, Carina Rosavik hat Zweifel daran, wer ihre biologischen Eltern sind, große sogar. Sie bittet die beiden Männer herein, in das Einfamilienhaus im argentinischen Córdoba.
Rosavik, damals 22 Jahre alt, und die Männer setzen sich an diesem Tag ins Wohnzimmer, so erinnert sie sich. Die beiden stellen sich als Vertreter von Menschenrechtsorganisationen vor. Sie haben sich der Suche von Nachkommen von Menschen verschrieben, die während der Militärdiktatur Argentiniens zwischen 1976 und 1983 ermordet wurden. Menschen, die schwanger oder mit Säuglingen oder Kleinkindern inhaftiert wurden und deren Kinder die Militärs verschenkten oder verkauften. Die Kinder wuchsen bei fremden Familien auf, oft ohne jemals davon zu erfahren.
Carina Rosavik weiß, dass sie 1976 gleich zu Beginn der Diktatur geboren wurde. Sie hat auch von den Verbrechen des Militärs gehört, von den zehntausenden Entführungen, der Folter und den sogenannten Todesflügen, bei denen politisch Verfolgte sediert und anschließend über dem Fluss Rio de la Plata oder vor der Küste Argentiniens aus dem Flugzeug in den Tod gestürzt wurden. Insgesamt gehen Menschenrechtsorganisationen von 30.000 Verschwundenen aus. Es ist die Geschichte des Landes, aus dem sie kommt, aber sie spielt zu einer Zeit, an die sich Carina Rosavik nicht erinnert, abstrakt und weit weg.
Doch an diesem Nachmittag tragen die beiden Männer die Geschichte zu ihr. In das Wohnzimmer ihres vermeintlichen Elternhauses. Mit einer Akte, hunderte Seiten dick.
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Erschienen in der wochentaz vom 01.04.2023
Die Recherche fand im Rahmen eines Austauschprogramms des Vereins Internationale Journalisten Programme e.V. (IJP) statt.